Vor den Schornsteinen der Stahlwerke von Arcelor Mittal und an den Ufern der Maas liegt im Lütticher Stadtteil Sclessin die Heimstätte von Standard Lüttich. Offiziell nach einem früheren Vereinspräsidenten Standards als Maurice-Dufrasne-Stadion benannt, ist es in Lüttich schlicht als „Sclessin“ oder besser noch als „Hölle von Sclessin“ bekannt – wegen der Begeisterung der Lütticher Fans.
Aus Sicht der 96-Fans würde Paragraphenhölle von Sclessin die Sache wohl besser treffen – wegen der Begeisterung der Lütticher Stadtverwaltung für kleinkarierte Verordnungen. Doch der Reihe nach. Da sich Fans von Standard in ganz Europa offenbar gerne wie eine offene Hose benehmen, hatte man zum Dank von belgischer Seite aus die Begegnung mit Hannover 96 am 30. November 2011 frühzeitig als ein Hochsicherheitsspiel eingestuft. Konsequenz: Deutsche Fußballfans konnten über das offizielle Auswärtskontigent von knapp 1.500 Tickets hinaus, welches Hannover 96 zur Verfügung gestellt worden war, keine weiteren Tickets für das Spiel in Lüttich erwerben. Zudem durfte 96 die Karten nicht in den freien Verkauf geben, sondern diese zur Freude der TUI nur im Paket mit offiziellen Fanreisen verticken. In Lüttich spielt man in der Europa-League lieber vor halbvollen Rängen – gegen Kopenhagen waren nur etwa 17.000 Zuschauer im „Sclessin“ – anstatt ein paar tausend Hannoveraner mal etwas Europapokalatmosphäre in das öde Kaff bringen zu lassen.
Ist mir doch egal, dachte ich bis heute, ich interessiere mich ohnehin nicht für Fußball und fahre so oder so zum Krawallmachen in die Stadt mit dem gewissen Nichts. Bevor ich weiterschreibe, füge ich an dieser Stelle jetzt doch besser entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten einen Smiley ein. Also 🙂 und ein LOL zur Sicherheit auch noch dazu, damit auch die Lütticher Stadtverwaltung den ironisch-flapsigen Grundtenor dieses Artikels erkennt. Mit den dortigen Vorzeigeeuropäern ist nämlich nicht gut Waffeln essen. Wenn Hochsicherheitsspiel, so denkt man sich dort, dann bitte auch mit Schmackes und so haben die Lütticher Stadtoberen im Geiste der europäische Integration für den Spieltag eine Verordnung erlassen, die – Verfassern einer rechtsvergleichenden Doktorarbeit im Kommunalrecht sage ich da nichts Neues – auf den Artikeln 133 Absatz 2, 135 Absatz 2 des belgischen Gemeindegesetzes beruht. Diese Verordnung könnte aus der Feder des Zöllners Vandevoorde aus der französisch-belgischen Komödie „Nichts zu verzollen“ stammen und regelt laut einer E-Mail der „Roten Kurve“ u.a. Folgendes:
- „alle Fussballfans von Hannover 96 werden am 30. November 2011 verpflichtet, ausschließlich mit Bussen die Reise nach Lüttich anzutreten;
- diese Busse dürfen nicht vor 19.30 Uhr auf dem Gebiet der Stadt Lüttich eintreffen;
- alle Fans, die sich auf dem Gebiet der Stadt Lüttich befinden, müssen im Besitz einer gültigen und im voraus gekauften Eintrittskarte sein;
- alle Fans, die sich nicht an diese Verordnung halten, begehen eine Ordnungswidrigkeit und können bis zu 12 Stunden durch die Polizei festgenommen werden;
- alle Reisegesellschaften haben die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, dass es zu keinen Verstößen gegen diese Verordnung kommt;
- zudem werden die Reisegesellschaften dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass eine unverzügliche Abreise nach Spielende gewährleistet ist.“
Ich halte fest: Der von der „Roten Kurve“ geplante Fanzug nach Lüttich fällt damit aus, stattdessen geht’s mit Bussen gen Belgien, mit denen wir eventuell noch einige Stunden um die Lütticher Stadtmauer drehen werden, bevor uns der Bürgermeister das Stadttor aufschließt. Im Unterschied zu osteuropäischen Autoschiebern bleibt für alle anderen Deutschen mit möglicher 96-Affinität Lüttich am Spieltag tabu. Wer kein Ticket, dafür aber einen 96-Schal hat, wandert an diesem Tag direkt von der Frittenbude in den Knast. Wer nach dem Spiel „Alte Liebe“ durch die Lütticher Innenstadt pfeift, wird ebenfalls weggesperrt.
Angesichts der Lütticher Charmeoffensive scheint dem ein oder anderen 96er die rechte Lust an der Auswärtsfahrt bereits vergangen zu sein. Die „Rote Kurve“ hat heute die ihr zur Verfügung stehenden 600 Tickets verlost. Es sollen gerade einmal ca. 700 Bewerbungen eingegangen sein.