96 feiert nach Rückstand Reincarnation Parade

Europapokal in Benelux bedeutet zunächst was? Richtig, kurze Anfahrten, keine  Tickets. Über die Rote Kurve und das First-Reisebüro war ich für die UEFA Pokal-Partie bei Twente Enschede leer ausgegangen. Am Niedersachsenstadion in Berlin-Neukölln bildeten sich letzte Woche zwar keine langen Schlangen, nur wurden dort leider auch keine Karten für Enschede verkauft. Meine hastige Bettelei („Meine schöne Euroserie!“) nach irgendeinem Restticket, das sich vielleicht ganz hinten im Fanladen versteckt hat, wurde von meinem Rote Kurve-Kontakt schulterzuckend zur Kenntnis genommen und unter dem Stichwort Auswärtsdauerkarte die nächste Einziehungsermächtigung ins Spiel gebracht. Nun war es leider auch nicht möglich, sich einfach außerhalb der Gästeblöcke ein Ticket zu kaufen. Zwar war die 30.000 Zuschauer fassende de Grolsch Veste mit 22.500 an den Mann gebrachten Tickets bei weitem nicht ausverkauft. Jedoch können Eintrittskarten für Fußball-Matches in den Niederlanden zumeist nur unter Vorlage einer Club Card erworben werden, wobei man sich einen solchen Ausweis nur von einem Verein gleichzeitig ausstellen lassen kann. Meinen unter dem Nickname TwenteFanatic letzte Woche noch auf die Schnelle gestellten Antrag ließ man in Enschede souverän unbearbeitet. So musste letztlich Erwin aushelfen, ein Einheimischer, der aller staatlichen Gängeleien in den Niederlanden zum Trotz  das stolze und ehrliche Gewerbe des Schwarzhandels ausübt. Ihn hatte ein blitzgescheiter Europacup-Allesfahrer im Twente-Forum aufgetan – dafür auch an dieser Stelle noch einmal ganz fette Props!

Kurz hinter Bad Bentheim beginnt schon der Europapokal. Erinnerungen an Auswärtsfahrten nach Gütersloh, Osnabrück oder Meppen werden wach.

Sieht man einmal von den beiden Gefangenentransporten ins Stade Sclessin von Standard Lüttich ab, war Enschede die erste Europapokalauswärtsfahrt, bei der ich von der Stadt nichts gesehen habe. Dies war überhaupt nicht weiter bedauerlich: Denn der Trip nach Enschede fühlte sich sowieso ein wenig wie eine der stets stimmungsreichen Auswärtsfahrten an die Bremer Brücke an und weder bei dieser noch bei anderer Gelegenheit hatte man sich schließlich Osnabrück jemals angeschaut. Unter dem Strich blieb also Europapokalfußball pur, ganz ohne Städtereise-Feeling, aber ebenso ohne erzwungene An- und Abfahrt in vollgefurzten Bussen. Die Grolsch Veste ist auf die grüne Wiese etwas vor die Stadt gesetzt worden. Dennoch entstand weniger der Eindruck eines Plastik-Stadions als bei vielen der neuen Multifunktionsarenen. Dies liegt zunächst ganz einfach daran, dass das Stadion teilweise eine Backsteinaußenwand hat. Zugute kommt es der Grolsch Veste sicherlich, dass sie nicht in einer einzigen Bauphase hingesetzt, sondern nach und nach ausgebaut worden ist. Der Fußballnostalgiker weiß dabei auch die kleinen Flutlichtmasten auf der alten, im Vergleich zu den übrigen Stadionseiten niedrigeren Haupttribüne zu schätzen. Und nein, die sich dadurch um die Spieler bildenden Schatten, die mir früher gar nicht aufgefallen waren, stören entgegen der Annahme heutiger Stadionarchitekten überhaupt nicht. Mit einigen kleinen Details zitiert der Ground in Enschede zudem den Mythos englischer Stadien. Etwa befindet sich vor dem Eingang zur Gegengerade ein schwarzer gusseiserner Zaun, über dem sich in einem Bogen in Messinglettern der Schriftzug FC Twente 65 schwingt. Das Highlight ist allerdings die Bronzestatue von Blaise N’Kufo. Dessen wahre Bestimmung als Goalgetter war von Ralf Rangnick offenbar grob verkannt worden, bevor er 2003 von Hannover 96 zu Twente wechselte, um dort mit 114 Treffern in 223 Spielen zur Sturmlegende zu werden.

Blaise N’Kufo erzielte 114 Tore für den FC Twente. Dafür hat man ihm zu Ehren eine Bronzestatue vor der Haupttribüne der Grolsche Veste errichtet.

Details wie dieses Eingangstor zur Gegengerade lassen das Fanherz höher schlagen.

Wie in den Benelux-Ländern anscheinend üblich, stimmte man sich auf das Spiel mit einem schönen Rave ein. Schon aus dem Supporter-Pub der Twentefans wummerten die Technobässe. Kurz vor Einlauf der Mannschaften legte der Stadion DJ dann das schon aus Lüttich bekannte Zombie Nation auf. Auch irgendein um ein paar Bässe ergänztes Coldplay-Stück wurde noch dargeboten. Nun ja, wenn das eigene Team mit dem 80er-Jahre-Kracher Rock you von Queen aufläuft, muss man in dieser Angelegenheit wohl den Ball ganz flach und sehr kurz zum Nebenmann schubsen und das Spiel beruhigen.

Die Grolsche Veste ist ein sehenswerter Backsteinbau, der mir von Anfang an irgendwie bekannt vorkam. Wer genau hinschaut, kann das Tor 1, den Eingang für die technoaffinen Heim-Supporter erkennen.


Die Atmosphäre in der Grolsch Veste soll eine der feurigsten in den Niederlanden sein. Gegen Hannover 96 galt allerdings Sing when you are winning. Die Twente-Kurve zeigte bei Spielbeginn eine Choreo, sang You’ll never walk alone und dann erstmal gar nichts mehr. Gesanglich lagen im Gegensatz zum Geschehen auf dem Spielfeld deshalb lange die 1.500 Fans der 96er vorne. Erst nach dem 2:0 für Twente in der Zweiten Halbzeit nach einem durch Schlaudraff ins eigene Tor abgefälschten Freistoß war von den anglophilen Twente-Fans etwas zu hören (We love Twente, When the Reds go marching in).

Die Twente-Kurve zeigt kurz vor Spielbeginn eine Choreo. Das Hyper, Hyper kann aber nur schwer entziffert werden.

Geholfen hat’s ihrer Mannschaft jedenfalls nicht, denn Hannover 96 feierte nach dem 0:2-Rückstand seine unerwartete Wiederauferstehung. Zunächst machte Sobiech, dessen Bewegungsabläufe und dessen unangenehmes Stören der gegnerischen Verteidiger ein wenig an Miro Klose erinnern, nach einem vorangegangen Torschuss von Rausch mit einem trockenen Abstauber sein zurzeit schon fast obligatorisches Tor. Letzterer war dann auch am Ausgleich maßgeblich beteiligt – das Eigentor von Wisgerhof fiel nach der verunglückten Abwehr einer Hereingabe von Rausch. Gar nicht auszudenken, was der Mann alles bewirken könnte, wenn er auch noch Fußball spielen könnte. Zwar wurde es zum Schluss noch mal etwas hektisch. Zu einem waschechten European Giant (Zitat Dubliner Fans) gehört aber auch ein starker Keeper wie Zieler, der den Punktgewinn beim Tabellenführer der niederländischen Eredivisie festhielt und somit eine gute Ausgangsposition für die weiteren Spiele der Gruppenphase sicherte.

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