Schnell noch den Gencode von Hannover 96 auslesen: Abendspiel unter der Woche gegen die zuletzt auswärtsstarken Clubberer aus Nürnberg mit der Chance sich mit einem Sieg in der Spitzengruppe festzuspielen und der gleichzeitigen Gefahr bei einer Niederlage ins obere Mittelfeld der Liga abzurutschen heisst normalerweise, dass die Wahrscheinlichkeit einer Enttäuschung bei exakt 96% liegt. Doch Mirko Slomka doktert seit mehr als zwei Jahren auf schon fast perverse Weise an den 96-Genen herum. Mittelfeld macht ihm keinen Spaß! Slomka will mit 96 vorwärts nach weit.
Ganz weit nach vorne bringt 96 auch im Spiel gegen die Clubberer Szabolcs Huszti. Zunächst erzielt Stindl den Führungstreffer nach einer überlegten Vorlage von Huszti. „Schieb ihn ins lange Eck“, brülle ich kenntnisreich von der Osttribüne, als Huszti den Ball erobert, in den Sechzehner stürmt und der Nürnberger Verteidiger auf einen Pass spekuliert. Huszti tut wie ihm geheißen und befördert die Kugel mit dem Außenrist an Schäfer vorbei – 2:0. Nicht ganz so kenntnisreich hatte ich beim Europapokalspiel in Dublin noch mit verschränkten Armen zum Besten gegeben, dass Huszti die Bälle zu lange hält, seine Bewegungen zwar nach Turbo aussehen (und zwar nur wegen seiner damals noch langen Haare!), aber für die Bundesliga zu langsam sind, er also alles in allem seine beste Zeit hinter sich habe. Schließlich ließ ich mich – Monty Python´s Life of Brian lässt grüßen – sogar zu der rhetorischen Frage hinreißen: Was hat Szabolcs Huszti eigentlich jemals für uns getan?
Zu meiner Verteidigung möchte ich anführen, dass sich ein zehnjähriger Steppke im Interview in der Halbzeitpause nicht minder kenntnislos zeigt. Ein Tor würde sein Lieblingsspieler Ya Konan ganz sicher noch schießen, prognostiziert er für die zweite Halbzeit. Was für ein hanebüchener Unsinn! Vielmehr klingelt es im zweiten Durchgang bei den Clubberern noch zweimal und jeweils ist es Ya Konan, der den Ball in ihrem Tor unterbringt. Doch nicht nur die beiden Tore sprechen dafür, dass Ya Konans Formkurve wieder nach oben zeigt. Seine größte Stärke lag für mich immer woanders: Kaum ein Stürmer in der Bundesliga stört den Spielaufbau des Gegners an guten Tagen so effektiv wie Ya Konan. Dies ermöglichte in der Saison 2010/11 oftmals die schon fast sprichwörtlichen „Zehn-Sekunden-Konter“ der 96er. Denn in zehn Sekunden kontert es sich wesentlich leichter bei Ballgewinn unweit des gegnerischern Sechzehners, als wenn der Ball in der eigenen Hälfte erobert wird. Gleichzeitig konnten dadurch Mängel im eigenen Spielaufbau überdeckt werden. Presste der Gegner die ballführenden 96er zu arg, so blieb immer noch ein langer Ball, vordergründig zwar ein Ballverlust, genauer betrachtet jedoch die Chance den Ball in aussichtsreicher Position wiederzugewinnen. Ein feines Gespür hierfür scheinen mir auch die Hannoveraner zu haben. Fast noch größeren Beifall als für seine beiden Tore bekommt Ya Konan daher, als er einen Konterversuch der Nürnberger mit einer beherzten Grätsche an der Außenlinie unterbindet.
Der 1. FC Nürnberg kann mit dem 1:4 nach einem Patzer von Zieler nur noch die so genannte Ergebniskosmetik betreiben, bleibt ansonsten aber blass, vor allem wenn man bedenkt, dass sie die letzten vier Auswärtsspiele für sich entscheiden konnten. Das von den 96-Ultras angestimmte Nürnberger Arschlöcher geht dennoch fehl. Knapp 1.500 Fans haben die Clubberer an einem Mittwochabend mit ins Niedersachsenstadion gebracht – sie feuern ihre Mannschaft an, unternehmen aber nach klarem Rückstand erst gar nicht den Versuch, durch Dauergesang die Atmosphäre im Stadion zu versauen. So sieht für mich die Fanszene eines Traditionsvereins aus. Vielleicht wollen sich die 96-Ultras aber auch nur um eine Fanfreundschaft bewerben, denn wie Martin Kind richtig nach dem Spiel in Wolfsburg bemerkte: Bei den 96-Fans handelt es sich ebenso ganz überwiegend um Arschlöcher.
Das überzeugende 4:1 gegen den FCN wird nur dadurch getrübt, dass Leon Andreasen verletzungsbedingt ausgewechselt werden muss. Schon in Hoffenheim hatte er wegen muskulärer Probleme gefehlt und sich extra vom Arzt seines Vertrauens in Kopenhagen behandeln lassen. Wie sich später herausstellen wird, erleidet Andreasen einen Kreuzbandriss. Zu Saisonbeginn hat er sich nach einer 27-monatigen Verletzungsmisere auf den Fußballplatz zurückgekämpft. Es mag im Leben schlimmere Schicksalsschläge geben, mit „ganz bitter“ ist die erneute schwere Verletzung Andreasens andererseits auch nicht adäquat beschrieben. Der Kontrast zur Rückkehr von Mame Diouf nach mehrmonatiger Verletzungspause könnte kaum größer sein, ein echter Gänsehautmoment. Selten ist die Einwechslung eines Spielers im Niedersachsenstadion derart euphorisch beklatscht worden. Die Begeisterung auf den Rängen überträgt sich auf Diouf, der fast einen Ballverlust des Nürnberger Keepers Schäfer und somit das fünfte Tor für die Roten erzwingt.
Hannover 96 muss als nächstes zum HSV, der nach dem Transfer von van der Vaart wieder erstarkt ist. Dann kommt der Deutsche Meister Dortmund, es folgen die schwierigen Aufgaben beim ungeschlagenen Überraschungsteam der Frankfurter Eintracht sowie gegen Gladbach. Für den Angriff auf die Spitze braucht 96 das Siegergen. Mirko Slomka, bitte manipulieren Sie.
Hannover 96 – 1. FC Nürnberg 4:1 (2:0)
96: Zieler, Cherundolo, Eggimann, Haggui, Rausch, Andreasen (10. Schmiedebach), da Silva Pinto, Stindl, Huszti, Schlaudraff (68. Abdellaoue), Ya Konan (82. M. Diouf)
Club: R. Schäfer, Chandler, Nilsson (57. Feulner), Klose, Pinola, Balitsch, Simons, Mak, (46. Gebhart) Kiyotake, Esswein (46. Polter), Pekhart
1:0 Stindl (21., Linksschuss, Huszti)
2:0 Huszti (29., Linksschuss)
3:0 Ya Konan (52., Rechtsschuss)
4:0 Ya Konan (64., Rechtsschuss, Huszti)
4:1 Chandler (73., Linksschuss, Feulner)
Schiedsrichter: Daniel Siebert
Zuschauer: 36.200 (darunter etwa 1.500 Club-Fans)
Gelbe Karten: Haggui (2. ), Schmiedebach (1.), Ya Konan (1.); Gebhart (1.), Pinola (2.)