Freiburg siegt verdient im Niedersachsenstadion – Die Raute war’s

Freiburg entführte erstmals in der Bundesligageschichte aus dem Niedersachsenstadion drei Punkte, brachte 96 damit die zweite Heimniederlage in der Bundesliga in Folge bei – und dies ging nach dem Spielverlauf völlig in Ordnung. Zwar hatte 96 zum Ende der Partie durchaus die Möglichkeit gehabt, den Ausgleich zu erzielen. Auf der anderen Seite hatte Freiburg aber über die gesamte Spielzeit unzählige Torchancen liegenlassen, hätte vor allem in der Schlussphase die Kontersituationen besser zu Ende bringen müssen. Der SC Freiburg hat also hochverdient mit 2:1 in Hannover gewonnen. Woran lag’s?

Hatte 96 in Stuttgart noch mit der Umstellung auf eine Raute im weiteren Sinne (4-1-3-2-System) vier Treffer in 17 Minuten erzielt und damit die Partie nach 0:2-Rückstand gedreht, so tat’s das Rautensystem gegen Freiburg überhaupt nicht. Das Spiel wird im modernen Fußball bekanntlich eher von der Sechser-Position als vom Zehner hinter den Spitzen gemacht. Slomka entschied sich, gegen Freiburg Christian „Schulle“ Schulz auf der Sechs zu bringen und ihm keinen weiteren defensiven Mittelfeldspieler zur Seite zu stellen. Ich hege für Schulle große Sympathien, alleine wie er sich mit seinen langen Haaren wie ein nasser Labrador über das Spielfeld schleppt, auch seine altmodischen Grätschen beklatsche ich gerne. Zwar ist das Sliding Tackling auch immer ein Indikator dafür, dass es um die Geschwindigkeit des grätschenden Spielers nicht zum Besten bestellt ist. Doch die Grätsche gehört zum Zweikampf dazu, auch wenn nur als letztes Mittel, da kann Jogi Löw erzählen was er will – und Schulle gehört zu den wenigen Spielern, die eine in aller Regel faire Grätsche noch punktgenau setzen können. Leider prädestiniert ihn dies nicht unbedingt dafür, das Spiel der Roten aus der Tiefe des Raumes zu lenken. Nicht umsonst konnte er sich weder bei Werder Bremen noch in Hannover dauerhaft auf dieser Position behaupten. Schulles Defizite wären vielleicht gegen Freiburg weniger ins Gewicht gefallen, wenn Slomka nicht eine Raute spielen lassen hätte, sondern einen zweiten zentralen defensiven Mittelfeldspieler gebracht hätte.

Ein weiterer defensiver Mittelfeldspieler neben Schulle fehlte zudem zur Unterstützung der Außenverteidiger. Dies sollte sich insbesondere auf der rechten Seite des unerfahrenen Sakais, der einen rabenschwarzen Tag erwischte, bitter rächen. Immer wieder erspielten sich die Freiburger über ihre linke Außenbahn aussichtsreiche Möglichkeiten, Sakais Stellungsspiel sah dabei oft unglücklich aus – bereits gegen Gladbach hatte er Mitschuld am Anschlusstreffer der Borussen zum 1:2 getragen, mit dem diese ihre erfolgreiche Aufholjagd einleiteten. Dennoch sollte man über ihn nicht schon nach zwei Spielen den Stab brechen. Sakai scheint mir ein schneller, technisch nicht unversierter Spieler zu sein, der anders als Cherundolo, der für mein Empfinden viel zu oft Alibibälle spielt, gewillt ist, offensiv mutig zu agieren, hier durchaus auch intelligente Wege geht.

Knapp 1 1/2-Blöcke im Unterrang der Gegengerade wurden mit Kindern aufgefüllt, um sie von Hannover 96 anzufixen. Unter erzieherischen Gesichtspunkten war das 1:2 gegen Freiburg genau richtig – das Niedersachsenstadion wurde für charakterstarke Persönlichkeiten gebaut, die mit Enttäuschungen umgehen können.

Nach der Halbzeitpause kam Schulz nicht mehr aufs Feld, er wurde durch den genesenen Pinto ersetzt. Die überfällige Systemumstellung nahm Slomka hingegen nicht vor. Vorzugswürdig wäre für meine Begriffe etwa gewesen, zusätzlich Schmiedebach für den Torschützen Abdellaoue zu bringen, auf eine Doppelsechs umzustellen und Schlaudraff neben Diouf als hängende Spitze spielen zu lassen. Auch eine Systemumstellung mit einem Wechsel Schmiedebach für Schlaudraff wäre nachvollziehbar gewesen. So beackerte Pinto in der Folgezeit zwar das Mittelfeld deutlich dynamischer als Schulle, 96 bekam aber weiterhin keinen wirklichen Zugriff aufs Spiel. Die Freiburger bestimmten auch in Halbzeit Zwei das Geschehen, erspielten sich Chance um Chance und kamen in der 56. Minute durch den sehr gut aufgelegten Ex-96er Rosenthal zum 2:1. Rosi würde ich trotz seiner Verletzungsanfälligkeit gerne einmal wieder im Trikot von Hannover 96 sehen. Sein Vertrag läuft Ende der Saison aus – Schmadtke übernehmen Sie!

96 konnte froh sein, dass der Rückstand nicht höher ausfiel. Zieler parierte einige Freiburger Versuche hervorragend, zumeist scheiterte der SCF aber an seinem Unvermögen in der Spitze. Mit einem echten Torjäger, etwa dem in der Winterpause 2011/12 zu Newcastle United abgewanderten Cissé, hätte Freiburg die 96er am heutigen Tage abgeschossen. Unter dem Strich war Zielers Leistung trotzdem nicht nationalmannschaftsreif. Selten habe ich einen Torwart dermaßen viele Bälle zum Gegner oder in die Walachei bolzen sehen. Das lag manchmal auch an den schlechten Platzverhältnissen und teils an den jeden Torhüter in Bedrängnis bringenden Zuspielen seiner Vorderleute, aber eben bei weitem nicht ausschließlich daran. Auf der anderen Seite hinterließ Freiburgs Keeper Baumann einen ganz starken Eindruck, hatte eine super Ausstrahlung, große Präsenz im Strafraum, ja sogar darüber hinaus. Immer wieder erlief er gefährliche Pässe und erstickte somit Chancen für Hannover 96 schon im Ansatz  – ein Musterbeispiel für einen Torwart moderner Schulung. Es würde mich nicht wundern, wenn er nicht nur für die U21-Nationalmmanschaft, sondern auch für den Kader der A-Mannschaft in nicht allzu ferner Zukunft ein Thema würde.

Mit der Einwechslung von Ya Konan für Sakai wollte Slomka in den letzten 30 Minuten die Offensive stärken, aus der 4-1-2-1-2-Raute wurde endgültig ein 4-1-3-2. Zwar belebte Ya Konan das Spiel der 96er, für einen Punkt reichte es dennoch nicht mehr. Und dies lag zu einem Teil wiederum an Ya Konan selbst. Ya Konan hat in der Vergangenheit viele gute Spiele für 96 gemacht, wichtige und auch schöne Tore erzielt, das alles darf nicht von heute auf morgen vergessen werden. Allerdings ist sein Egoismus beim Torabschluss langsam nicht mehr feierlich – es hat 96 gegen Freiburg womöglich einen Punkt gekostet, dass er in zwei, drei aussichtsreichen Situationen seine Mitspieler nicht sehen wollte, sondern selbst den Abschluss gesucht hat.

Slomka hat sich mit der Entscheidung für die Raute bzw. ein 4-1-3-2-System gegen den SCF vercoacht. Es wäre schön, wenn er sich künftig – Vorsicht, jetzt wird es polemisch – weniger den Geschäften der Slomka AG, sondern wieder mehr der adäquaten taktischen und psychologischen Einstellung seiner Mannschaft widmen würde – auch gegen vermeintliche Underdogs wie den SC Freiburg. Sicherlich ist nicht plötzlich alles schlecht, nur darf man eben nicht verkennen, dass in dieser Saison zu manchem Sieg, zu manchem Punktgewinn auch eine gehörige Portion Glück gehörte. 96 war schon gegen Gladbach und Frankfurt, gegen Enschede und Helsingborg streckenweise nicht auf dem Platz gewesen, war nicht in der Lage, die Konzentration 90 Minuten hochzuhalten.

Dass sich Slomka ein Angebot von Bayern München anhört, dafür habe ich noch Verständnis, wenngleich man selbstverständlich nicht gleich wie Martin Kind in die Medien hinausposaunen muss, dass man den Mirko in diesem Fall höchstselbst mit 230 Sachen in die bayerische Landeshauptstadt fahren würde. Sollte Slomka aber auch mit einem Engagement in Wolfsburg schwanger gehen, fällt mir dazu echt nichts mehr ein. Hey Mirko, d’yer wanna be a spaceman or you just want the gold? Ich gehe davon aus, dass Slomka am Ende in Hannover seinen Vertrag verlängern wird. Ein gutes Signal an die Mannschaft ist das auch von ihm medial inszenierte Pokerspiel trotzdem nicht.

Über die Leistung der Roten am 12. Bundesligaspieltag sollte man eigentlich besser den Mantel des Schweigens ausbreiten. Um bessere Laune zu bekommen, schauen wir uns abschließend lieber diesen vor dem Niedersachsenstadion geparkten wunderschönen 96-Bully an.

Hannover 96 – SC Freiburg 1:2 (1:1)
0:1 Schmid (11., Linksschuss, D. Caligiuri)
1:1 Abdellaoue (33., Handelfmeter, Linksschuss)
1:2 Rosenthal (56., Rechtsschuss, M. Kruse)
96: Zieler, H. Sakai (62. Ya Konan), Eggimann, Haggui, Rausch, C. Schulz (46. Pinto), Stindl, Huszti, Schlaudraff, M. Diouf, Abdellaoue (59. Sobiech)
Freiburg: Baumann, Mujdza (86. Hedenstad), Krmas, Diagne, Sorg, Makiadi (76. Guedé), Schuster, Schmid, D. Caligiuri, Rosenthal (84. Dembelé), M. Kruse
Schiedsrichter: Deniz Aytekin
Zuschauer: 43.800 (davon etwa 400 aus Freiburg)
Gelbe Karten: Huszti (3.), Sobiech (2.), Mujdza (4.)

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